C - Naemi

Szene C 5

Friedrich Wilke und seine Frau sitzen im selben Zimmer, das Bett fehlt jetzt. Stille lastet auf beiden, der Regulator tickt. Er hat ein Buch in der Hand, sie Strickzeug.

Sophie, Friedrich (Gabriele Hempel, Max Noak 20030721)

SOPHIE: Am liebsten würde ich auch sterben. Wenn Max und Du nicht wären, dann würde ich es tun. Umsonst, ... alles umsonst... Warum...

FRIEDRICH: Was meinst du?

SOPHIE: Wir haben mit allen Kräften gekämpft. Haben Tag und Nacht um Naemis Leben gerungen. Wozu schenkt uns Gott ein Kinde und dann stirbt es, kaum dass es gelebt hat. So viele Pläne hatten wir mit dem Mädel. So viel Vorsorge für Naemis Zukunft. Alles umsonst...

FRIEDRICH: Du meinst – ihr ganzes Leben umsonst?

SOPHIE: Oder etwa nicht? Ich sehe ihr Gesicht noch so deutlich vor mir. Ihr Lachen liegt im Raum – und dann höre ich plötzlich ihr Stöhnen.

Sophie, Friedrich (Gabriele Hempel, Max Noak 20030721)

FRIEDRICH: Ich mache mir schon tagelang Gedanken, wie Naemis Andenken bewahrt wird. Vielleicht ist ja ihr kurzes Leben nicht umsonst gewesen?

SOPHIE: Was hast du vor?

FRIEDRICH: Weißt du, schon während Naemis Krankenlager ging mir immerzu eine Frage durch den Kopf: Was passiert, wenn es eines der Kinder unserer Arbeiterinnen drüben in der Fabrik erwischt? Vielleicht ist es ja schon geschehen? Kein Geld für eine Pflegekraft. Und woher auch sollte die kommen?

SOPHIE: Ja, also muss die Mutter zu Hause bleiben und das kranke Kind pflegen. (nachdenklich) Aber würde der Familie dann nicht der Verdienst fehlen? Wie soll das gehen?

FRIEDRICH: Nun, genauso wie in gesunden Tagen. Die Kinder sind sich selbst überlassen. Mutter hat den Eintopf vorgekocht. Die Größeren helfen den Kleinen, so gut es halt geht. Notfalls muss sich das Kranke selbst kümmern – oder es gibt eine barmherzige Nachbarin...

SOPHIE: Unvorstellbar!

Sophie, Friedrich (Gabriele Hempel, Max Noak 20030721)

FRIEDRICH: So aber ist es. Ist es immer gewesen! Wir haben uns nur darüber zu wenig Gedanken gemacht. Was meinst Du: Wenn wir Naemis angesparte Mitgift dafür verwendeten, dass wir eine Pflegestätte für die Kinder unserer Arbeiter schafften? Z.B. ein Kinderkrankenhaus, in dem vielleicht auch Mädchen die Krankenpflege erlernen könnten?

SOPHIE: ... und trägt das Andenken unseres Kindes in die Stadt, durch die Zeit. Vielleicht werden Menschen an unser Kind erinnert, wenn wir schon längst nicht mehr sind... Aber lass uns auch an die kleinen Kinder der Arbeiterinnen denken, wenn sie gesund sind. Sie bräuchten einen Hort, damit die Mütter beruhigt ihre Arbeit in der Fabrik machen können.

FRIEDRICH: Du hast Recht, Sophie. Auch das wollen wir ins Auge fassen. So wird uns Naemi wohl auf immer fehlen, aber sie hat nicht umsonst gelebt!

SOPHIE: ... und sie ist nicht umsonst gestorben.

Ende Szene C 5

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